10. Juni 2023

Die obere Elbe – Fluss-Radfahrt 2023 Teil 2

Hradec Kralove – berühmter als Covid: Pestsäulen
5. Tag 91km Hradec Králové – Vrchlabí

Mein Vater hatte Geburtstag. Ich wollte ihm den Laubegaster Foto-OL (Teilvariante), den ich in Corona-Erholungs-Spaziergängen im Frühjahr erstellte, erst zum Runden nächstes Jahr schenken, aber ich tat es nun doch an diesem Morgen, es passte. Heute nutzte er ihn! 6-7 Posten fand er nicht. 10 Prozent. Dafür fand er 2 Postenkreise nicht richtig genug. Ich korrigierte sie.

Mein Vater über- oder untertreibt gelegentlich, selten scheint er zu frieren, aber dieser Geburtstagsmorgen erschien ihm doch „saukalt“. Wir frühstückten ein 2. Frühstück auf dem Markt in Hradec Kralove, genauer unter Laubengängen, welche in der Gegend etliche Marktplätze charakterisieren. Lustigerweise lief meiner 24h-OL-Staffel letztes Wochenende die Pardubicer Staffel weit davon und die Hradec Kralover Staffel etwas. In Tschechien gibt es viele gute OLer.

Die Radwege blieben am Vormittag lange recht gut befahrbar, aber ich fühlte mich von Anfang an recht k.o., was auf meine Laune schlug. Kleinigkeiten können da helfen, wie Mohnblumen: so rot, wollen gesehen werden, durchbrechen Eintönigkeit, so zart, dass sie den Wind zu besänftigen scheinen.

Josefov (Josefstadt) – keine Ahnung, wo und ob wir es passierten. Wir verfuhren uns einmal, trugen die Räder über eine kleine Brücke über die Elbe. Und noch einmal ein ungewollter Umweg (wo sind die Schilder?) und ich stürzte, nicht spektakulär, rutschte mehr im Schlamm hangabwärts weg, als wir einen Hund und sein Herrchen passierten. Am Vor- oder Vorvortag fiel ich in einer Rille auf hartem Elb(damm)weg. Mein Vater kurz drauf auch, alles ohne hohes Tempo und Blessuren. Neben vielen nun kleinen Staustufen ist die Elbe „entarmt“ und ziemlich begradigt. Manchmal zerstörte Elbehochwasser aber auch hier kleine Wasserkraftwerke.

Spontan hielten wir an dem Schloss und Örtchen Kuks. Pillnitz grüßte mich im Kopf, auch wenn das Schloss sehr anders aussieht und auf einer Höhe steht. Ich hatte keine Muse zum Fotografieren, fühlte mich erschöpft. Wir schauten uns menschliche Figuren am Schloss und Menschen an, einen Kräutergarten und einen Friedhof.

In Dvur Kralove aßen wir, mein Vater Knödel herzhaft, ich süße; Knödel in Tschechien sind ein Muss. Hatte/beging auch diese Stadt ein Jubiläum? Hinweistafeln verrieten, dass auch dieser Ort alt ist. Den Kirchturm sah ich in der Abfahrt noch ein paar Mal. Wohl, weil wir uns hier das 1. Mal heute „verfuhren“, auch wenn es ab und an zwei oder gar noch mehr Radrouten gab, wir also meinten, der andere Weg eigne sich wohl doch besser. Mein Vater verstand meine „schlechte Laune“ nicht (mir „stach“ was im Nacken), ich verstand sein Unverständnis nicht. Alles akzeptieren. Was bleibt anderes übrig? Und doch auch: Einstellung ändern, es versuchen, immer wieder, weil die Einstellung sich auch immer wieder verändert.

Die Talsperre Les Kralovstvi sieht schick aus, wir fuhren drüber. Das Gebirge fing längst wieder an, uns und das Elbtal, nun wirklich wieder ein Tal, zu umrahmen. Allerdings ging es für uns nach dieser Talsperre auf eine und einer Schnellstraße weiter, hoch und wieder hinab, gesäumt von Nadelbäumen. Ich mag es nicht, wenn mich Autos schnell und recht dicht überholen. Mein Vater meinte, das komme je weiter im Osten und Süden desto öfter vor.

Das Schönste heute – neben Dankbarkeit für meinen Vater: der erste Blick auf den Cerna hora (Schwarzer Berg), als er am Horizont auftauchte. Ich kenne ihn, er markiert das Riesengebirge von Süden her. Stadt, Wald. Irgendwie kam ich voran, aber langsam. In Hostinne pausierten wir noch einmal. Marktplatz, Laubengänge, Roland-Statuen am Rathausturm, alte Fassaden, Menschen, die hier wohnen. Ich machte ein Foto von meinem Vater auf der Karla-Straße neben der alten Kirche, weil ich meinte, meine Mutter würde sich darüber freuen.

Mönchsdorf, tschechisch Klasterska Lhota: ringsherum Berge, die Elbe bald ein Rinnsal, dennoch stellenweise ausgebaut. Wir pinkeln neben sie, „damit überhaupt was drinnen fließt“.

Hunde, die bellten, wieder Autos, die zu dicht überholten, eine Nebenstraße – Aufatmen. Das Tal dehnte, ja weitete sich wieder, wir kamen unserem Etappenziel näher … doch schon hier in Vrchlabi (Hohenelbe)? Es war zu spät, um noch bis Spindlermühle zu radeln – ich brauchte kurz für die Entscheidung, dann war es besser so. Also zum Zeltplatz. … Wir fuhren noch einmal in die Stadt, einkaufen, Restaurace zu, im Sommer und Winter ist hier mehr los, Livemusik am Zeltplatz, Nüsse, Chips, er trank Wein, wurde redseliger, fast sanft. Spätes „Geburtstags“-Abendbrot im Zelt, da bereits dunkel und kalt.


im Riesengebirge: Der Elbfall von oben, quellnah
6. Tag 42km und 17km zu Fuß Vrchlabí – Elbquelle und zurück

Wir brachen erst halb 10 oder so in der Drehe nach Spindleruv Mlyn auf, obwohl wir unser Zelt für einmal stehen lassen konnten. Nach einem Radweg Straße in tiefem Tal bis Spindlermühle. Ein Schild weist auf den Nationalpark hin. Kaum einer (außer uns ;-) hielt sich an die Geschwindigkeitsbegrenzung. Im Winter und Sommer ist hier noch viel mehr Verkehr. Erst eine große Staumauer und ein großer Stausee, dann der bekannte Ort. Postkarten. Rad bis nördlich der Stadt, wo die Weiße Elbe in die Elbe fließt bzw. beide zusammen, trifft es exakter.

Ab hier wanderten wir, obgleich wir noch einen guten, festen Waldweg Richtung Westen ein Stück weit fahren gekonnt hätten. 8,5 km und 500 Hm, die meisten der Höhenmeter erklammen wir gegen Ende. Wir unterhielten uns, ich fiel zurück, hielt mehrfach an, aber weniger inne: Fotos. Ein steiles Tal, ein Weg, der sich windet, Wald, der sich lichtet, der Elbfall – von oben einsehbar, die Elbfallbaude, andere Menschen, Bauarbeiter an der großen Baude, Gaststättengäste, eine Schulklasse – einer von jener fotografierte uns später an der Quelle. Oben schien immer Betrieb. Sonne. Hochgebirgscharakter. Berkiefern. Schneereste. Erinnerungen an Skilauftouren hier mit OL-Freunden, alleine, mit meinem Vater. Der Frühling fing hier erst an. Das Ziel wirkte fast „unspektakulär“, der Weg war es nicht … und der ist ja auch das Ziel. Elbestädtewappen, die im Winter im Schnee verborgen liegen, kleine Fehler in den Mosaiken und in den Zuflüssen zur metallenen, symbolischen Elbe, eine hölzerne „Elbfrau“, die hier „losfließt“, die Quelle etwas uneindeutig, eingefasst wie ein Brunnenbecken. Die Weiße Elbe Richtung Schneekoppe gegenüber in der nahen Ferne könnte genauso „die“ Elbe sein, die Moldau könnte als Hauptstrom zur Nordsee führen. Was ist wahr, was irgendwie gefunden, festgelegt? Zwei E-Mails und zwei Postkarten, u.a. der letzte Apfel aus Dresden und geschmolzene und wieder fest gewordene Geburtstagsschokolade. Ein Menschenstrom, der nicht abzureisen scheint. Ein älteres Pärchen aus Hamburg, mit dem wir uns unterhalten. Sie wollten auch bereits eher hier gewesen sein, waren es nun. Und sie meinten, Vater und Sohn zusammen wäre was Besonderes. Ein junger Vereinsfreund schrieb mir, dass seine Eltern hier am Vortag gewesen waren. Waren wir 1 Tag zu spät oder 3 Jahre oder doch genau richtig? Das Wetter passte, kühler war es hier oben natürlich, zum Glück. (Wie viele Grad bei wie vielen Höhenmetern? Mein Vater hatte eine „Formel“ genannt.) Der Klimawandel ist und wird Scheiße genug.

Wir nahmen den selben Weg zurück, andere Wege wären zu weit. Wenn wir mal Zeit haben …, pflegt mein Vater zu sagen, machen wir hier Urlaub. Am nächsten Tag zur Schneekoppe? Wenn wir in Spindlermühle gezeltet hätten, vielleicht. Ich hatte keine Lust, die Straße noch einmal zu fahren. Wir aßen am Zusammenfluss von Elbe und Weißer Elbe, ich Forelle, in Tschechien gibt es scheinbar keine Vegetarier. Die Abfahrt wurde frisch. Ich wollte durchs Isergebirge zurück, mein Vater auch.

Heute, für damals gedacht, waren wir also am Ziel der Reise gewesen, die noch nicht zu Ende war.


Cerna Studnice: Foto-OL nicht unterschätzen
7. Tag 56km Vrchlabí – Tanvald und 14km zu Fuß (10 davon im Laufschritt)

Wir fuhren über eine Höhe nach Horni Branna. Hinterm Ort ging es wieder sacht bergauf und lagen fünf tote Maulwürfe auf der Straße, dicht beieinander. Einer hatte sichtbar Blut verloren. Im Land des kleinen Maulwurfes. Wie war das passiert? Mir war etwas schlecht. Eine Kindergruppe lief einen parallelen Feldweg hinauf. Wir rollten und treteten weiter nach Jilemnice, wo es auch einen OL-Verein gibt. Mein Vater trank einen Kaffee, wir aßen Gebäck auf dem Marktplatz. Von dort führte uns unser Weg zur und über die Iser, die hier bereits ein tiefes Tal prägte. Wie lange schon? Die Brücke, die wir querten, wurde 1912 erbaut. In Böhmen ist viel barock und manches dem Jugendstil zuzuordnen. Hoch strengte an, wir verpassten einen Abzweig, fuhren zu weit, der Umweg (mehr Straße, weniger huckeliger Feldweg) war am Ende vielleicht gut so. Wir sahen rechts das Riesengebirge, links den Jeschken. Da mit dem Rad rauf? Vorn uns das Isergebirge und später auch hinter uns die markante Burg Trosky, deren Silhouette mindestens ein OL-Logo ziert. Weiter fuhren wir eine Straße nach Vysoke und setzten uns in den Schatten auf den Markt. Hier standen und saßen viele Jugendliche und Kinder, die auf Busse ins Umland warteten, dahin wollten, woher wir kamen oder wohin wir fuhren. Mein Vater erkannte, dass wir hier vor Jahren ein Ski-OL-Wochenende mitgemacht hatten, damals als SI Air+ erstmals in Tschechien eingesetzt worden war und ich einen Kartenwechselfehler gemacht hatte, indem ich von der 1. auf die 3. Karte und dann auf die 2. gewechselt hatte. Und wohl auch mit GPS-Vereins-Uhr am Handgelenk der Chiphand zu einer Lösung beitrug, da meine Ziellochung trotz Zielquerung nicht registriert worden war.

Die Abfahrt zur Kamenice und der Radweg etwas oberhalb von hier hatte noch ein paar Anstiege für uns in sich. Und zum Zeltplatz in Tanvald durften wir auch noch einmal etwa 15min steil hinauf. Das Zeltplatztor empfing uns mit einer Festpostennetzkarte. Papierexemplare hatten die Betreiber nicht. Dabei wollte ich doch den Foto-Fels-OL eines von zu Hause mitgenommenen Faltblattes von der Trainings-O-Tour 2020 auf dem langen Bergrücken gegenüber noch mit meinem Vater absolvieren. …

Also rollten wir noch einmal hinab, um gleich zum 1. Posten deutlich anzusteigen. Die Aussicht über Tanvald hatte sich aber bereits gelohnt. Doch die Strecke zog sich und die angegebene Zeit von 2,5 h schienen wir zu verfehlen. Lag es am Maßstab von 1:35.000? Die „Posten“ (Felsen und zwei Treppen) waren wegnah, aber manche trotzdem kniffelig. Mein Vater drehte nach der Hälfte um, ich wollte bis zum Ende, also tat ich es im Laufschritt meiner Wanderschuhe. Rennen war mir eine schöne Abwechslung zum Reiten auf meinem bald 14-jährigen Drahtesel. Rennend sammelte ich auch noch Plasteflaschen ein und freute mich über einen Müllsack im Sattel vor dem Cerna Studnice, auf dem ich Punkt 18 Uhr ankam. 19 Uhr war ich wie vereinbart zurück am Ausgangspunkt bei meinem Vater und unseren Rädern, okay, eine Minute später wegen Fotopausen. Den ominösen Posten E an dem wir vorbei gelaufen waren, hatte ich rückzu noch gefunden.


Tanvald: Festpostennetz am Zeltplatz
8. Tag 71km Tanvald – Liberec (und Radeberg – Dresden Laubegast) und 6km Fuß-OL

Der letzte Tag brach an. Ich wachte früh auf, vor meinem Vater, stand einmal mit ihm auf. Ich lief den abfotografierten Festposten-OL mit Handy, schweren Beinen – und Wanderschuhen. Das ging erstaunlich gut. In einer Woche wollte ich den 24-Stunden-OL in Tschechien laufen. Nur musste ich ob der fehlenden Karte mehr Gedächtnis-OL machen, um die Posten zu finden. Am Ende ein neuer (Rad)Pfad. Nach dem Frühstück fuhren wir nach Jizerka/Kleiniser. Es wurde steil für uns. Auf einem Friedhof lasen wir viele deutsche Namen. Deutsch und Tschechisch sprechende Menschen konnten und können miteinander. Ich entdeckte ein Kindergrab. Und am Dorfaushang hing eine OL-Ausschreibung – für heute. Wir näherten uns Jizerka, im Winter war ich noch parallel zur Straße Ski gelaufen. In Jizerska angekommen trank ich einen Kakao. Jizerka wirbt als Dunkelort für sich. Städte sind fern, das kleine, idyllische Dorf liegt in einer Senke umgeben von Höhen und Wald. Nachts verschmutzt Kunstlicht viel weniger die Sicht auf Sterne und Planeten. „Wenn wir mal Zeit haben …“ Das Isergebirge ohne Schnee erleben – der Wunsch ging in Erfüllung. Die Hauptloipen sind (mittlerweile) schöne Radwege, dafür weniger Wanderwege. Platten- weichten inzwischen Asphaltwegen. Viele Radfahrende und ein paar Rollerfahrende waren an diesem sonnigen Tag unterwegs, etliche Kinder. Ich sah einen Lehrer und Vater und seine Tochter aus einer Dresdner Schule – ebenso mit dem Rad unterwegs. Die Smedava wird noch gebaut, wir rasteten weiter oben, aber unterhalb der Knajpa. Die Schöne Marie mussten wir uns ansehen, also voran die Aussicht nach Norden, auch der Smrk zeigte sich uns hier noch einmal. In Nova Louka aßen (ich Käse und Kuchen – Essen genießen), tranken und lagen wir eine sehr sonnige Weile am Wiesenrand. Alles ist endlich.

Rasant führte uns die Abfahrt nach Liberec, wo ich wen kenne. Rasanter fuhr der Zug. Vertraut war das letzte Stück durch die Heide und das allerletzte vom Blauen Wunder an der Elbe nach Hause.

Sehnsucht nach Quelle, Ursprung, Fluss und Meer
Epilog: Manchmal meine ich, es gibt ein Gefühl, man fühlt sich gut oder eben nicht (gut), aber dann denke ich auch wieder, es gibt Gefühle für jeden Ort, zu jeder Zeit und in jedem Wesen.

Mein Vater ist fit, fährt mir auf dem Rad davon, wird aber auch älter. Mein Rad ist schon alt, quietscht zuweilen derart, dass es nicht reparabel scheint.

Und immer wieder begegnet uns „der Tod“, da scheint man nicht drumherum zu kommen – um sich im Leben nach dem Leben zu sehnen?! Ich las auf dem fotografierten Denkmal in Terezin: „… des den Tod überwindenden Lebens …“

Nächstes Jahr die Elbe bis zur Nordsee? Ist einiges länger von hier als bis zur Quelle.

Kurz vor und nach der Radtour erprobte ich spazierend und rennend neue Bachläufe, Bäche, die die Elbe mit Wasser speisen. Wasser: wissen wir hier noch welch Lebenselixier es ist, müssen wir es wieder (schmerzhaft?) lernen?

Fotos von meinem Vater


PS: Die VHS Dresden, 1. Tester des 1. Dresdner Stadt-OL, wirbt am 17.6. für den Dresdner Stadt-OL.

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