30. Mai 2023

Die obere Elbe – Fluss-Radfahrt 2023 Teil 1

goldene Momente – schon, eher noch ungetrübte Hochelbe

Mein Vater fährt viel mit dem Rad, besonders an Flüssen entlang. Die Idee war 3 Jahre alt, zusammen die obere Elbe zu „bewältigen“. Er schlug flussabwärts vor, ich wollte zur Quelle. Dass ich es schaffte, fragte ich mich vorher nicht. Zwischendrin schon mal. Und Bruchstücke von dem, was wir im wahrsten Sinn erfuhren, möchte ich für mich und Interessierte festhalten: 

 
1. Tag 99km Dresden Laubegast – Brná bei Usti

Blick von der Burg Schreckenstein, an der ersten Staustufe
Pirna ist mir immer vertrauter geworden, nun wohnen einige Freunde dort. Noch in Wehlen sah ich aus dem Wald(kindergarten) bekannte Gesichter. Kurz darauf und gegenüber die Rahmhanke, ein Klettersteig von den Herren Rahm und Hanke, würde ich nicht laufen. Immer wieder gleiten die Gedanken dort zu Janek. Bald 4 Jahre ist es her, seitdem er nicht mehr lebt. Einige OL sind in mir mit ihm verbunden.

Ob wir Ende 2024 auf der Festung Königstein OL machen? In Dresden wird es uns für Kinder nicht erlaubt, über den Ostra-Trümmerberg zu laufen. In Krippen gibt es einige Sonnenuhren – die könnten einen Stadt-/Dorf-OL bilden. Bis Schöna kannte ich den Elberadweg (weiter entfernt liegt kein OL auf deutscher Seite und für OL auf tschechischer, wechselte ich die Flussseite und verließ das Elbtal). Die Grenze in unser Nachbarland Tschechien war Neuland für mich.

Dolni Zleb/Niedergrund, auch Dolni Grund genannt, kurz hinter der Grenze zeugt von „verwaschenen“ Grenzen, was Sprachen angeht. Hier lag ein Klettersteig-Faltblatt der Schäferwand aus. Mir fiel ein, dass Decin ein Festpostennetz hat. In der Stadt Decin fuhren wir über die Brücke und aufs Schloss mit alter Buche (der Beschriftung nach, die Blätter sehen anders aus) und Eibe im Hof. Schön sahen mir auch die grünen Granit- und Basalthänge und -berge ringsherum samt Schneeberg „hinter“ uns aus. Wir hatten die Sächsische und Böhmische Schweiz passiert. Irgendwo da am Elberadweg stand eine winzige Kapelle mit Hochwassermarken und einer Birke gegenüber mit Tierschädeln. In Velke Brezno gab es – typisch tschechisch – Knoblauchsuppe. Und hinter Usti nad Labem (= an der Elbe) tauchte sie vor uns auf, die erste Staustufe (samt Wasserkraftwerk). Ungezählte folgen. Im (deutschen) Unterlauf ist die Elbe ohne und weitestgehend naturbelassen, was in Europa Seltenheitswert besitzt. Wir sahen wie ein deutsches „Altenheim-Touristenschiff“ mit französischer Flagge 8,55m in der Schleuse nach oben „gewässert“ wurde. Flussfahrt. Ob Charon steuerte? (Einen Tag später holten wir das Schiff erneuert an einer Schleuse ein.) Auch ein Paar aus Deutschland mit Rädern schaute zu, er dunkel-, sie hellhäutig. 3km weiter landeten wir vier auf einem Zeltplatz direkt an der Elbe. Mein Vater und ich radelten noch einmal zurück und hoch zur Burg Schreckenstein direkt oberhalb der Schleuse. Ein Maulwurf kreuzte den Weg. Kalte Duschen.


2. Tag 96km Brná bei Usti – Mlékojedy bei Neratovice

KZ Theresienstadt: in den Tod geschickte Kinder
Eine Blindschleiche sonnte sich auf dem Radweg.Mir begann aufzufallen: immer wieder überfahrene Kleintiere auf den Straßen, auf die uns der Elberadweg ab und an führte. Zu erkennen waren nur noch Vogelkleid, Mäusefell und Reptilienknochen, was wenig zuvor noch ein flinkes Lebewesen gewesen war. Die Sonne brannte, Sonnencreme soll nackte Haut schützen. Ein naher Berg hier heißt auf Deutsch Radebeule. Hinter Cirkovice „kam“ das sogenannte Böhmische Tor, die Hügel ebbten ab, es wurde recht flach um uns, bis auf ein paar Weinanbaugebiete. Der Blick zurück und auf die andere Seite offenbarte die Autobahn und einen halb abgebauten Berg. Ein Zugtunnel durchs östlichste Erzgebirge ist ein gigantischer Plan. Verlangt unser Lebensstil solche Großprojekte?

Wir näherten uns Terezin, fuhren erst einen Schlenker durch Litomerice, wo wir aus einer Quelle tranken und wechselten dann die Flussseite, weil ich noch nicht dort war, aber dorthin mochte. Die Festung der österreichischen Kaiserin Theresia liegt ein Stück abseits der Elbe. 2021 wurden hier die WM-Läufe im Sprint-OL ausgetragen. 80 Jahre zuvor wurden hier im „Vorzeige“-KZ vor allem alte Menschen, aber auch furchtbar viele Kinder gefangen gehalten, umgebracht bzw. weiter weg gebracht und dort umgebracht.

Auch der 1. Weltkrieg schrieb hier Geschichte.

Und nun arbeiten hier Vietnamesen im Minimarkt und betteln Leute davor um Geld. Und Ratten fühlen sich hier auch pudelwohl, wie wohl in allen Städten.

Ich sah viel Biomasse, vor allem grüne, aber auch viel Müll, viel Verkehr, habe wenig Sitzfleisch. Viele fuhren Rad, Inliner, spazierten, Junge, Alte, weiblich, männlich. Wir kamen durch und hielten in Roudnice. War ich hier nicht mal zum OL? Unweit vom Ort liegt eine 2km-lange Ruderanlage, an der wir vorbei radelten und was tranken. Und schon näherten wir uns Melnik, der Stadt des Zusammenflusses von Elbe und Moldau. Die Moldau führt mehr Wasser und durch Prag und ist bis dahin auch noch länger als die Elbe. Die Kelten scheinen Schuld zu sein, dass uns unsere Radtour weiter nach Südosten und nicht nach Südwesten und in den Böhmerwald führt. Eins der schönsten klassischen Werke/Stücke (nicht Lieder, wie einer der Erstleser wusste) ist mir „Moldau“ von Smetana. Ein „Kanal“ versperrt die Zufahrt zur Moldau durch Auenwald. Wir fuhren über eine Brücke in den Ort und hoch auf den Schlossberg, von dem aus ich bereits mehrfach mit OLern auf den Zusammenfluss schaute. Eine Umleitung führte uns folgend umwegig über Straßen, meine Kräfte schwanden, wir fuhren an einem Badesee mit Hütten vorbei … Das war er, unser Zeltplatz, der noch nicht offen hatte. Durch ein Kinderfest war an dem Tag aber genügend los und konnten wir dennoch übernachten. Hier gab es auch warmes Duschwasser, was Warmduscher wohl erst wieder zu schätzen wissen, wenn es fehlt.

 
3. Tag 86km Mlékojedy bei Neratovice – Poděbrady

Podiebradier (dt.) Kurpark voller Skulpturen
Am nächsten Morgen brauchten wir erst einmal ein Frühstück, welches wir uns auf der anderen Seite in der Innenstadt von Neratovice besorgten. Hier könnte man in der DDR spielende Filme drehen, dachte ich. Und wieder ein bettelnder Mensch. Andernorts ist das keine Ausnahme. Der Elberadweg geriet uns immer häufiger holprig und manchmal verlor sich die Ausschilderung und „verloren“ wir uns ohne sie. Grün gesäumtes Ufer, Felder, wieder eine Blindschleiche, die wir versehentlich fast „erwischten“. In Brandys eine zeichnende Schulkasse samt bildhübscher Lehrerin an der Elbe. Kurz nach der Pause mit Infos zu Ort und Elbe zischte es, genauer mein Hinterrad. Platten Nummer 1. Mir wurden wenige gewünscht. Sie gehören dazu, bestätigt mir nach der Tour auch ein OL-Freund. Wir flickten den Schlauch. Leute passierten uns, die wir später wiedersahen. Immer wieder trafen sich Blicke, für Augenblicke nur, in denen sich Welten verbergen. Fremde Menschen denken, wie ich, und anders als ich. Der Weg außerhalb der Ortschaften wurde nicht besser fürs Radfahren. Ein Friedhof – gestorben wird auch hier und immer. Eine gelbe Blume wächst in einem Baum, sah ich im Vorbeischnellen. Ein Pärchen küsste sich auf einem Motorrad. Ein Junge warf einen Basketball auf einen Korb. Vielleicht traf er nicht, weil wir gerade vorüberfuhren. Die Elbe – immer wieder gestaut – hat beinahe etwas von einem stehenden Gewässer. Wassersportler. Wasservögel. Vogelgezwitscher. Mein Vater wies mich auf den Zufluss der Iser auf der gegenüberliegenden Seite hin, dort standen zwei berittene Pferde. Hinter einem geschlossenen Handwerksdorf rasteten wir an einem See mit einzelnen Strandgästen. In Nymburk aßen wir eine Pizza. Ich erhielt in der Tourist-Info eine schicke Innenstadtkarte – „musste“ zum Jugendstil-Wasserturm mit teuflischen Erkerfiguren. Hier war ich Tourist, Radtourist. An einem urzeitlichen Grab kurz vor der Kirche im Ort der 2. Platten. Immerhin hatten wir zu dem Zeitpunkt Routine. Mein Vater übernahm einmal das Zelt. Ich hoffte und blieb von weiteren Platten verschont.

In Podebrady, der Geburtsstadt von Franz Kafkas Mutter (ein Denkmal weist auf einen Zusammenhang hin) und der seiner drei Schwestern, hatte das Sportgeschäft zu früh zu, kauften wir Essen. Auch der Zeltplatz auf der anderen Seite hatte geschlossen. Der knapp 4km weiter stand uns offen und war gut. Einmal Kofola. Wir sausten noch einmal in den Kurort, liefen fotografierend durch den Park mit vielen Skulpturen (ich hatte auch hier die Macke, mir dies alles auf einer Stadt-OL-Karte vorzustellen) und schauten im Sonnenuntergang in den Schlosshof.


4. Tag 111km Poděbrady – Hradec Králové

Kolin, „Die Erde Untertan machen“: vollbracht
Frühstück bei Sonnenschein, doch etwas entfernt grollte es. Wir packten das Zelt und als wir los wollten, fing es heftig an zu schütten und stellten wir uns für 10min erst einmal unter. Der Wetterbericht hatte für den späten Nachmittag Regen vorausgesagt. Am Vormittag fiel noch ein wenig Wasser vom Himmel in die Elbe, auf uns, das Grün und auf den Asphalt … Da uns weitere Huckelpisten zu viel und zu langsam würden, „kürzten“ wir über einzelne elbnahe Straßen ab – oder fuhren auf einer zu weit. In Kolin drehten wir fast eine Runde um den Marktplatz und bogen dann auf ihn ein. Mit Hilfe fanden wir ein Sportgeschäft für eine neue Gaskartusche und sicherheitshalber einen Radladen für einen neuen Schlauch. Uns fielen Stolpersteine auf und wir sahen plötzlich etliche. In der Gegend lebten vor dem 2. Weltkrieg besonders viele jüdische Menschen. Der über 700 Jahre alte Dom lud uns samt Domgarten zu einem kleinen Rundgang ein. Die meisten christlichen Menschen hier sind katholisch geprägt. 100 Jahre vor „der“ Reformation in und aus Thüringen wurde der „Ketzer“/Kirchenkritiker Jan Hus aus Tschechien verbrannt. Gott? Wahnsinn statt Nächstenliebe. Jeder Dorfplatzmittelpunkt scheint in Böhmen von einer kleinen Kirche, Kapelle, einer Maria-, Jesus- oder anderen Heiligenstatue bewacht. In den Städten stehen oft auch Pestsäulen. Gegenüber Corona war die Pest wirklich berühmt berüchtigt, raffte viele Millionen Menschen dahin. Und ausgerottet ist sie nicht.

Bei etwas Regen fuhren wir durch Kladruby, was mich durch seine (berühmten) Pferde an eine Riesenranch erinnerte. Eine Kutsche. Nicht nur eine Katze huschte über den Weg, ein Hase rannte, später sprang ein Reh. Viele Weinbergschnecken zeigten sich an diesem Tag. Wir sammelten später einige vom Weg, es waren zu viele. Die Strecke streckte sich. Meine Beine, eine Schulter, mein Nacken und Po schmerzten schon. Wir querten die Elbe – umsonst, waren länger fern von ihr unterwegs gewesen. Pardubice kündigte sich an. Die angeblich letzte Staustufe. Sackgasse. Die Elbe „verschmälerte“ sich. Eine Rast. Wir passieren die Stadt bloß auf dem Elberadweg, wo ich vor 22 Jahren meine 2. Jugend-EM gelaufen war und am 5. Posten im Einzellauf noch geführt hatte. Ich war gehandicapt gelaufen, mit Verhand um die rechte, verletzte Hand. In welchem Wald war das? „Hinter“ Pardubice steht eine Burg. Ich wollte hinauf. Keine Zeit. Die Straße danach zog sich und nervte durch schnellen Autoverkehr. Endlich: Hradec Kralove. Menschen hatten sich hier in der Nähe vor vielen Jahren gegenseitig umgebracht. „Irgendeine“ Schlacht bei Königgrätz, wie die Stadt deutsch heißt. Im Deutschen Krieg. Über 400.000 Männer bekämpften 1866 einander, mindestens 8.000 verloren dabei ihr Leben. Wir scheinen mir heute keinen Schritt reifer.

Der Zeltplatz liegt 4km östlich des Zentrums und nördlich eines großen Waldes, wo wohl die OLer des Ortes trainieren. Er ist groß und wieder schienen nur wir zu zelten. Wir radelten noch einmal in die Innenstadt. Mein Vater war letztens erst hier auf einer Durchreise mit einem Freund gewesen. Ein großer Markt- und Parkplatz, die kanalartig „eingefasste“ Elbe, ein pompöse anmutendes Museum, feines Essen. (Wie halten sich die unterbesetzten Restaurants/Restauraces?) Der Abendhimmel verschluckte die Farben. Hier kostete uns Duschen extra.

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